Abensberg ist Hundertwasser
Eine Kleinstadt im Zeichen von Kunst und Bier
Mal nannte er sich Regentag, dann signierte er seine Werke als Dunkelbunt. Auch Friedensreich Hundertwasser war nicht sein wahrer Name. Der bürgerliche Friedrich Stowasser (1928-2000) bediente sich einerseits am Japanischen – wo sein Vorname aus den Zeichen für „Friede“ und „reich“ gebildet wird – und übersetzte das „sto“, wie es in den slawischen Sprachen vorkommt, zu „hundert“. So wandelbar sein Verständnis vom eigenen Ich war, so einzigartig zeigt sich dieser Charakter auch in seiner Kunst. Und die kommt in einem Gebäude zur Geltung, dessen Umrisse jetzt mit Lichterketten geschmückt die Nacht erleuchten: im KunstHausAbensberg.
„Gerade Linien sind gottlos. Farbe ist Reichtum“, sagt Hans-Peter Rickinger. „Der Glanz von Gold und Silber ist Nahrung für die Seele.“ Er kennt die Philosophie des Österreichers Hundertwasser so gut wie kaum ein anderer. Kein Wunder, verbringt der Tourismusleiter der Brauerei Kuchlbauer nahezu jeden Tag in dem fantastischen Gebäude. Es ist wie ein großes Wohnzimmer für ihn, das tausende Geschichten bereithält. Und wer genau hinsieht, der merkt, dass ein riesiger, blattvergoldeter Baum mit seinen Verzweigungen sinnbildlich das Kunsthaus trägt. Auf mehreren Ebenen befindet sich hier die größte Sammlung an Hundertwasser-Werken in ganz Europa.
Jeder Regentropfen ist ein Kuss des Himmels.
– Zitat Hundertwasser
10.001 Grafiken – 10.001 Unikate
Beim Spaziergang durch die Räume überkommt einen das Gefühl, an einem verwunschenen Ort gelandet zu sein. Bunte Mosaiksteinchen und abstrakt geschwungene Formen durchziehen das gesamte Haus. Alles scheint zufällig aufeinanderzutreffen – und ist doch genau geplant.
Die Kunst von Hundertwasser sollte für jeden erschwinglich sein. Und trotz der Vielzahl an Werken einzigartig bleiben. So kam es vor, dass Hundertwasser für 10.001 Stück einer Grafik-Serie wochenlang nur mit der Signatur und Nummerierung beschäftigt war. Lila, pink, schwarz, blau: Jedes Kunstwerk unterscheidet sich allein in der Komposition der Farben. Manche von ihnen leuchten sogar im Dunkeln. Und der Betrachter meint, stets von mehreren Augenpaaren angeschaut zu werden. Spiralförmige Linien wirbeln durch die Bilder, alles fließt. Eingestreute Kristalle, Glasstaub und Metallfolie funkeln und erzeugen einen 3D-Effekt.
Wir leben im Paradies, aber wir machen es kaputt.
– Zitat Hundertwasser
Vorreiter und Kämpfer für den Klimaschutz
Von den Erlösen hat der Künstler Häuser begrünt, Bäume gepflanzt, Umweltschutzprojekte unterstützt. „Er war quasi immer pleite“, sagt Rickinger. Und zeigte sich auch beim Wohnen äußerst bescheiden. Gerne zog er sich in die Abgeschiedenheit des niederösterreichischen Waldviertels zurück und lebte dort zeitweise in einem verlassenen Sägewerk, ohne Strom und fließend Wasser. Das Museum zeigt diese Orte und zeichnet den Lebensweg eines ökologischen Aktivisten nach, dessen Botschaften nicht nur auf Plakaten verewigt sind, sondern auch auf Video in einem Kinosaal zu sehen. Und alles hier ist eines: grün, mit Pflanzen, ganz im Sinne der Naturverbundenheit.
Zur Weihnachtszeit sticht vor allem der aufstrebende und hell erleuchtete Kuchlbauer-Turm auf dem Brauereigelände hervor. Auf 35 Metern windet er sich in die Höhe und erzählt von der Symbolik des Bierbrauens, Panoramablick inklusive. Tanzende Fenster, gewundene Formen, unebene Böden und vergoldete Zwiebeltürme zeugen vom Vermächtnis Hundertwassers. Nach seinem Tod übernahm sein Freund Peter Pelikan die architektonische Umsetzung. Die Eröffnung erfolgte zum Tag des Bieres am 23. April 2010. Das Kunsthaus geht vollständig auf die Pläne des Wieners Pelikan zurück, es wurde 2014 eingeweiht.
Eine besondere Vorliebe für Gartenzwerge
Dass es diesen Ort in Abensberg überhaupt so gibt, ist Leonhard Salleck zu verdanken. Der ehemalige Chef der Kuchlbauer-Brauerei erkannte die Anziehungskraft architektonischer Bauten und schrieb Hundertwasser 1998 einen Brief. Seine Bitte: die Brauerei verschönern, damit mehr Besucher kommen. Erst ein eigens verfasstes Gedicht konnte den bereits gesundheitlich angeschlagenen Künstler vollends überzeugen, das Design für den Kuchlbauer-Turm zu entwerfen. Sein Titel lautete: „Der Weißbierzwerg aus Abensberg“. Denn Salleck wusste um die Vorliebe, die Hundertwasser für Gartenzwerge hegte. Sie waren für ihn liebliche und zugleich missverstandene Wesen der Natur.
Hundertwasser beherrschte neun Sprachen, bereiste viele Länder und durchquerte Ozeane auf einem eigens umgebauten Schiff. Letztendlich war es die Sprache der Maori, der Einheimischen von Neuseeland, die ihn an sein letztes Ziel in den Süden führte. „Man sagt ihnen nach, mit der Natur sprechen zu können“, sagt Rickinger. Unter einem Tulpenbaum liegt Hundertwasser dort begraben, wieder dem Kreislauf der Natur zugeführt.
Durch die Heimat des Weißbieres
Wer Kunst mit Biererlebnis verbinden möchte, kann an einer Brauereiführung teilnehmen. Dabei sehen Besucher gleich zu Beginn einen meterlangen Bartresen aus New York, an dem Schauspieler Humphrey Bogart regelmäßiger Gast gewesen sein soll. Schon bald zieht ein hopfiger Duft in die Nase, es geht vorbei an den für das Bierbrauen typischen Kupferkesseln. Kurze Filme erklären, was etwa in einer Sudpfanne passiert. Alte Maschinen zeugen von der harten Arbeit vergangener Tage. Zum Abschluss geben sprechende Weißbierzwerge ihre Geheimnisse für ein perfektes Bier preis, bevor es zur größten Weißbierglas-Sammlung der Welt mit abschließender Verkostung geht. Ob im Gärkeller oder auf dem Weg zur Füllerei: Überall ist Hundertwasser ein treuer Begleiter, sichtbar als Mosaik an den Wänden oder an der durchgehenden Linie aus bunten Flaschenböden, die in den Boden eingelassen sind.
Handwerk, Deftiges und Co.
Natürlich gehört auch ein sinnlicher Budenzauber zum Besuchsprogramm in Abensberg. Wenn die Abende immer kürzer werden, bringen hunderttausende LED-Lichter Kuchlbauers Turmweihnacht auf dem Brauereigelände zum Strahlen. Rund 70 Aussteller verköstigen traditionell mit Bratwurstsemmeln, Glühwein oder Süßem. Beim Schlendern über den Markt begegnen einem Schmuck, Edelsteine, handgemachte Seifen, Hutmacher oder geschnitzte Krippenfiguren. Kunstschreiner präsentieren Holzmöbel im Hundertwasser-Stil, während beim Anfertigen von Decken und Kissen im Kreuzstich großes Kunsthandwerk gelebt wird. Eine Tafelmalerin fertigt individuelle Sprüche an, für Kinder gibt es ein Karussell. Und die Alpakas warten darauf, in ihrem Gehege gestreichelt zu werden.
von Christoph Aschenbrenner
Öffnungszeiten
In den vier Adventswochen immer mittwochs bis sonntags geöffnet. Mittwoch und Donnerstag von 14 bis 21 Uhr, Freitag von 14 bis 22 Uhr, Samstag von 12 bis 22 Uhr und Sonntag von 12 bis 21 Uhr.