Eiskalte Schönheit

Eiskalte Schönheit

Thomas Tremml schnitzt Figuren und Skulpturen zum Dahinschmelzen

Leise kratzt der Meißel über die Seitenfläche des 100 Kilogramm schweren Eisblocks in der Werkstatt von Thomas Tremml. Erst als der Eiskünstler im nächsten Schritt die Linien mit einem japanischen Schnitzeisen zu daumentiefen Furchen vertieft, lassen sich Konturen erkennen: Im Industriegebiet von Ismaning will sich ein Fisch aus dem Eis schälen.

Währenddessen schiebt wenige Meter weiter Philipp Tremml einen Eisblock über eine Bandsäge, um Eiswürfel für die Luxus-Gastronomie zu schneiden. Auch das ganz leise, ohne das sägeübliche Kreischen. „Eis hat fast keinen Widerstand“, erklärt Vater Thomas Tremml. Ist Eis nicht hart? Tatsächlich braucht man auch als Laie nicht viel Kraft, um mit dem Schnitzeisen Kerben in den Block zu treiben. Das Eisen gleitet durch das Eis. Testergebnis: Eis ist weich!

Eine Motorsäge legt die dreidimensionalen Fisch-Konturen frei. Dann folgt die Feinarbeit mit verschiedenen Schnitzeisen. Zum Schluss schmilzt Tremml die Oberflächen seiner Figuren mit dem Bügeleisen an, damit sie schön glänzen. Nur 30 Minuten braucht der 59-Jährige für einen Fisch. „Ich habe schon Tausende davon geschnitzt“, sagt er, „Hobbyeiskünstler brauchen dafür eher einen halben Tag.“ Auch für Tremml war die eiskalte Kunst mal reines Hobby. Als gelernter Koch in der Spitzengastronomie wollte er seine Tische spannender dekorieren als mit Blumen und Butterfiguren. Er belegte einen Eisschnitzkurs, baute eine eigene Maschine zu Herstellung von Eisblöcken. Und schnitzte fortan Pinguine und Fische, um Meerestier-Buffets bei Weihnachtsfeiern und anderen festlichen Anlässen zu schmücken.

Seine vergängliche Kunst kam so gut an, dass er sie zum Beruf machte. Seit 1990 erschafft das ‚Tremml Ice Team‘ nicht nur Figuren, Firmenlogos oder Jahreszahlen aus Eis, es friert auch Dinge in Eisklötzen ein: je nach Auftrag Blüten in Eiswürfeln, ganze Schaufensterpuppen, Lederhosen oder Teile eines Jaguars (des Autos) in Eisblöcken. Hoch unter der Hallendecke wacht noch immer ein goldenes Bambi über die Arbeit der Eiskünstler. Das Tier hatten sie für die Verleihung des deutschen Medienund Fernsehpreises ‚BAMBI‘ an Fäden in ein Wasserbecken gehängt und über Wochen einfrieren lassen.

Das Wasser in den Becken der Werkstatthalle ist immer in Bewegung. „So entstehen keine Luftbläschen und das Eis wird klar“, erklärt Thomas Tremml. In fünf Tagen ist ein gut 100 Kilo schwerer Eisquader fertig, die 400-Kilo-Blöcke sind in sechs bis acht Wochen fest. Bis zu zwei Tonnen wiegen die größten Klötze.

Sie alle werden in einem Kühlraum gelagert. Bevor sie mit Säge und Schnitzmesser traktiert werden können, müssen sie wärmer werden. „Die optimale Kerntemperatur liegt bei -4 Grad“, sagt Tremml. Ist das Eis zu kalt, kann es bei der Bearbeitung Risse bekommen. Wenn die Oberfläche anfängt zu schmelzen, ist für den Künstler der Zeitpunkt ideal, mit der Arbeit zu beginnen.

Am liebsten schnitzt er „alles, was fliegt“. Adler, Schwäne oder Kraniche mit ausgebreiteten Flügeln. Und generell Tiere. Elefanten aus Eis begrüßen bei Empfängen auf Schloss Elmau die Gäste. Dem Sultan von Oman lieferte der gebürtige Niederbayer einen lebensgroßen, eisigen Pfau. Mächtige Eisbären ließ er per Zahnradbahn auf die Zugspitze fahren. Mit einem sechs Meter hohen Bierglas aus Eis – einer Pilstulpe – schaffte es Tremml 1999 sogar ins Guinness-Buch der Rekorde. Auch ganze Bars, Wände und Räume aus gefrorenem Wasser gestaltet er mit seinem Sohn heute.

Aber egal, wie viel Mühe sich die beiden mit ihren Kunstwerken geben: Ungekühlt sind sie bei Raumtemperatur in spätestens einem Tag dahingeschmolzen. Macht nichts, findet Thomas Tremml. Er hat Spaß daran, immer wieder Neues zu erschaffen. Und er weiß, dass die Gäste eines Weihnachtsdiners oder Neujahrsempfangs weder die Eisbar noch den Fisch auf dem Buffet vergessen werden.

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von Ulrike Kühne

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