Intensiver Fell-Kontakt

Intensiver Fell-Kontakt

Auf Kuschelkurs bei einer Alpakawanderung

Sieht er mich? Sein welliges Naturhaar legt sich wie ein Vorhang über die obere Gesichtspartie. Auf dem Kopf haben sich Heu und kleine Äste in der weißen Haarpracht verheddert. Das Fell erinnert an einen überdimensionierten Wischmopp: lange, zottelige Fransen überall. In gemächlichen Schritten tapst Lucio aus dem Stall heraus und wird mir als Partner für die heutige Alpakawanderung zugewiesen. „Auf keinen Fall loslassen“, sagt Cornelia Weinfurter zur versammelten Gruppe. Sie züchtet seit 2011 gemeinsam mit ihrem Mann Daniel Alpakas in Trefling nahe Cham. Weinfurter drückt mir die Leine in die Hand, ich lege sie fest ums Handgelenk und mache mehrere Schlaufen, denn Alpakas sind Fluchttiere.
An die 80 km/h können sie im Sprint erreichen. Auch die Herde ist mittlerweile vollzählig, hier und da werden erste zärtliche Berührungen unter den Tieren ausgetauscht.

Scheu wie ein Reh – und doch zutraulich
Nach einer kurzen Kennenlernphase setzt sich die Truppe in Bewegung. Auf einem Schotterweg geht es an weiten Feldern vorbei. Fire Guilia und Delizioso geben mit ihrer Begleitung das Tempo an. Beide Tiere sind noch eher unerfahren, was lange Spaziergänge angeht. Direkt dahinter versuche ich, das Eis zu brechen, und wage mich an eine erste Streicheleinheit. Halsabwärts, so erschrecken die Tiere nicht. Ziemlich struppig fühlt sich Lucio an, ganz anders als seine Kumpane mit bauschigem Fell. Das hat mit der Art zu tun: Lucio ist ein Suri-Alpaka. Seine langen Locken und Strähnen hängen am Körper herunter. Die andere Rasse, das Huacaya-Alpaka, zeichnet sich durch eine feine Faser mit stärkerer Kräuselung und Dichte aus. Auch Dragon und Pioneer Ghost genießen den Auslauf an diesem Wintertag. Immer wieder zieht es die neugierigen Tiere an den Wegesrand. „Wenn sie in der Ferne einen Hasen wittern oder ein Sturm aufzieht, merken die Alpakas das vor uns. Und können schnell mal Reißaus nehmen“, sagt Weinfurter. In Schlangenlinien wandert Lucio von einer Seite auf die andere, spitzt dabei die Ohren. Plötzlich zuckt ein Tier zusammen – nur ein kurzer Schreckmoment, der zeigt, wie sensibel die Tiere reagieren. Schnee und Minusgrade machen ihnen hingegen wenig aus, weshalb die Wanderungen das ganze Jahr über stattfinden.

Mit dem Alpaka um die Wette lächeln
Wir nähern uns einer Waldlichtung. Fire Guilia und Delizioso gefällt das gar nicht. Bockig legen sie sich auf die Hinterbeine. Nichts geht mehr. Auf Anweisung übernehme ich mit dem erfahrenen Lucio die Führung, das soll der Gruppe wieder mehr Vertrauen geben. Mit strenger Zugkraft und gutem Willen schaffen es schließlich alle wieder auf die Beine. Schnurstracks marschiert die Bande tiefer in den Wald hinein. Mal treibe ich Lucio vor mir her, dann gibt er wieder das Tempo an. „Jedes Alpaka hat seinen eigenen Charakter“, sagt Weinfurter. Besonders empathische Tiere werden auch gerne zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Für mich steht fest: Eine Berührung tut einfach gut.
Zwischen Vogelgezwitscher und Waldruhe unterbricht ein Geräusch unsere Gespräche. War das ein quietschendes Wagenrad in der Ferne? Schon wieder derselbe, helle Summlaut. „So kommunizieren die Alpakas untereinander.“ Ich deute es als Zeichen, dass sich jedes von ihnen pudelwohl fühlt. Genau der richtige Moment für ein Fotoshooting. Ich verkürze die Leine und ziehe Lucio am Hals ganz vorsichtig zu mir heran. Gemeinsam grinsen wir in die Kamera – Cheese!

Die Spitze der Niedlichkeits-Skala
Eine Stunde und viele Zweisamkeiten später kommt das Ziel langsam in Sichtweite. Lucio merkt das natürlich vor mir und gibt mit strammem Marsch die Richtung vor. Trennungsschmerz macht sich in mir breit. Gemeinsam spazieren wir zum Stall, in dem die vielen anderen Alpakafamilien warten. Wo man hinsieht, recken die flauschigen Artgenossen ihre prächtige Mähne nach oben. Der Nachwuchs streift dicht am Fell der Mutter entlang und beobachtet das Treiben. Körperkontakt lautet hier die Devise.
Cornelia und Daniel Weinfurter sind stolz auf ihre Tiere und haben auch jeden Grund dazu. Im Hofladen wird das sichtbar: Reihenweise
prangen Pokale auf den Regalen, dazu Wimpel und Urkunden noch und nöcher. „Grand Champion Alpakas Huacaya Stuten dunkel“ oder „Color Reserve Champion“ ist auf ihnen zu lesen. Regelmäßig sind die Weinfurters europaweit unterwegs, um sich die Qualität ihrer Alpakas auf Wettbewerben bescheinigen zu lassen. Dabei treten Stuten und Hengste in verschiedenen Kategorien wie Farbklasse oder Alter gegeneinander an, bis am Ende ein Gesamtsieger feststeht.

Gras, Heu und Wasser machen glücklich
„Das Alpaka ist das weltweit einzige Tier mit 22 verschiedenen Naturfarben“, sagt Weinfurter. Von Weiß über Grau-, Beige-, und Brauntöne bis Schwarz reicht die Palette. „Die Wolle ist doppelt so fein wie Schafwolle, um ein Vielfaches wärmer und kratzt nicht.“ Immer im Frühjahr haben die Alpakas ihren Frisörtermin, dann steht die Schur an. Die rund 100 Tiere des Betriebs sind auf anderthalb Tage geschoren. Da kommen beachtliche Mengen an Wolle zusammen. Sie wird später von anderen Betrieben und lokalen Strickern zu kuscheligen Mützen, Socken, Schals oder auch Bettdecken weiterverarbeitet. Die Produkte vertreiben die Weinfurters dann auf Weihnachtsmärkten in der Region.
Beim Fressen zeigen sich Lucio und seine Freunde mehr als genügsam. Gras, Heu und täglich frisches Wasser schmecken den Wiederkäuern am besten. Obst, Gemüse, Getreide oder andere Futtermittel würden den fleißigen Nahrungsverwertern dagegen nur schaden. Selbst manche Weiden hierzulande seien viel zu fett für die Tiere, sagt Weinfurter. Kein Wunder – in ihrem natürlichen Lebensraum ist das Nahrungsangebot karg. Vor allem im Hochgebirge der peruanischen Anden in Südamerika sind sie anzutreffen.

Alles für eine gelungene Zucht
Wer sich überlegt, Alpakas als privaten Rasenmäher anzuschaffen, sollte 1.000 Quadratmeter Weidefläche für zwei Tiere zur Verfügung haben. Je mehr Artgenossen, desto besser, denn Alpakas sind Herdentiere mit ausgeprägtem Sozialverhalten. Oder soll eine Zucht aufgebaut werden? Dann können Daniel und Cornelia Weinfurter weiterhelfen. Sie wissen genau, was in puncto Genetik, Körperbau und Fellqualität zu beachten ist. Das Haar ist so weich, dass Cornelia Weinfurter wie die alten Inkas gerne vom „Vlies der Götter“ spricht. Und mir fällt ein, dass ich auch mal wieder einen frischen Haarschnitt brauchen könnte.

Info

Das zeichnet ein Alpaka aus:
• 80 bis 95 Zentimeter Schulterhöhe
• Gewicht von 50 bis 80 Kilogramm
• Lebenserwartung bis zu 20 Jahre
• Trächtigkeit der Tiere: ca. 11,5 Monate
• Ausgeprägtes Sozialverhalten

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von Christoph Aschenbrenner

Wandertickets und weitere Infos:
www.sun-star-alpacas.de

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